Jan.
VOM GROSSVATER, VOM SÄEN UND VOM ERNTEN.
Es war einmal ein junger Mann. Er wohnte zusammen mit seinem Großvater in einem kleinen Haus mitten in einem kleinen Dorf. Sein Großvater war alt und müde. Früher hatte er als Bauer gearbeitet und ihm war keine Arbeit zu schwer gewesen. Er hatte seinen Beruf geliebt und liebte ihn noch immer. Doch schon lange war er all der Arbeit nicht mehr gewachsen. Sein Körper brauchte Ruhe.
Der junge Mann hatte gesehen, wie schwer der Großvater bei jedem Wetter gearbeitet hatte. Er hatte sich damals geschworen, niemals Bauer zu werden und verdingte sich deshalb als Arbeiter in der nahegelegenen Fabrik. Jeden Morgen fuhr er mit seinem Fahrrad in die Arbeit und jeden Abend wieder zurück. Tagein, tagaus. Obwohl er diese Arbeit selbst gewählt hatte, machte sie ihm nur mittelmäßigen Spaß – sein Meister, sowie einige Kollegen, alle könnten freundlicher, hilfsbereiter, aufmerksamer sein. Auch die Arbeit war wenig abwechslungsreich und stets zu viel. „Ach wäre doch alles hier besser! Ach wäre ich doch bloß nicht hier!“, ging es ihm immer häufiger durch den Kopf. Je öfter er so dachte, desto mehr hatte er in und an seiner Arbeit auszusetzen. Immer weniger bemühte er sich selbst um gute Beziehungen zu den anderen. Immer öfter sah er nur das, was nicht funktionierte, ohne sich dafür einzusetzen, dass es funktionierte. Immer seltener sah das Schöne. Selbst die Fahrt zur Arbeit, die er früher so sehr genossen hatte, wurde immer anstrengender für ihn. „Ja, wenn ich nettere Kollegen hätte und wenn mein Meister etwas weniger forderte, dann würde mir die Arbeit auch viel mehr Freude machen.“, sagte er sich. „Aber die anderen ignorieren das und ändern sich einfach nicht.“ Der junge Mann zog sich immer mehr zurück, erledigte nur noch das Nötigste und selbst seinem Großvater gegenüber wurde er immer einsilbiger und ungeduldiger. Oft schimpfte er den alten Mann, der doch seinen Enkel so sehr liebte.
Eines Tages saßen beide Männer in der Küche und aßen zu Abend. Da fasste sich der Großvater ein Herz und fragte seinen Enkel, was mit ihm los sei. „Seit Wochen bist du unausstehlich, stets übel gelaunt und hast an allem und jedem etwas auszusetzen.“ Der Enkel sah seinen Großvater mürrisch an und erzählte ihm von seiner Arbeit, den Kollegen und von seinem Meister. Er zog über alle und alles her. Ja, er redete sich regelrecht in Rage. Der Großvater sah ihn an und hörte aufmerksam zu. Als der junge Mann geendet hatte, war es still in der Küche. Keiner sagte ein Wort. Das Ticken der Küchenuhr war so laut, dass es einem in den Ohren dröhnte.
Schließlich atmete der Großvater tief ein und setzte zum Sprechen an. „Weißt du?“, begann er. „Als ich noch jeden Tag das Feld bestellt habe, säte ich nur die besten Samen. Ich war darauf bedacht, diesen Samen die Zeit zu geben, die sie brauchten. Später habe ich die kleinen Pflänzchen gehegt und gepflegt. Ich wusste, dass die Samen, die ich säte und die Pflanzen, die ich pflegte, die Qualität meiner Ernte im erheblichen Maße bestimmen würden. Nie kannte ich das Ergebnis. Meine Vorfreude war die Hoffnung auf eine reiche Ernte. Der Weg dorthin war gepflastert mit Liebe zu dem, was ich tat. Er war verschönt mit Freude auf das, was wohlmöglich kommen würde. Ich habe mich gefreut zu geben, ohne sofort etwas zu verlangen. Es war mir stets ein aufrechtes und tiefes Bedürfnis.“ Der Großvater sah seinem Enkel noch tiefer in die Augen und fragte: „Welche Samen säst du und wie pflegst du sie, um das zu ernten, was du möchtest?“
Der junge Mann konnte dem Blick seines Großvaters nicht standhalten. Er senkte den Kopf und schwieg.
(Autorin: Ilka Prinz)